Unsere Lieblingsbücher

Anne Frank und der Baum

Bildquelle: Fischer/Sauerländer Verlag
Anne Frank und der Baum
von Jeff Gottesfeld
Peter McCarty
und Miriam Pressler
40 Seiten
1. Aufl. 2018
Fischer/Sauerländer Verlag
SBN: 978-3-7373-5509-4
16,99€

Thema Anne Frank
für Kinder ab 5 Jahren

Der ein oder andere mag sich fragen, ob man ein solch schwieriges und durchaus auch trauriges Thema wie den Holocaust , Antisemitismus, Krieg, in einem Bilderbuch erzählen kann. Erst recht wenn ein sehr persönliches Schicksal, das eines Kindes, thematisiert wird.
Ja, man kann und muss und dies ist  Jeff Gottesfeld und Peter McCarty wunderbar gelungen. Nicht zu vergessen dank der sensiblen Übersetzung von Mirjam Pressler.
Einfühlsam erzählt Jeff Gottesfeld die Geschichte Anne Franks aus der Warte eines Baumes, der im Innenhof des Hauses, in dem Anne Frank während des Krieges lebte, stand. Es ist nur ein kleiner Teil Anne Franks kurzem Leben. 2 Jahre
vom 12 Juni 1942 bis zum 1. August 1944 lebte Anne Frank mit ihrer Familie in Amsterdam um sich vor den Nationalsozialisten zu vertecken. Davon die meiste Zeit eben im besagtem Hinterhof Haus Prinsengracht 263 wo heute das Anne Frank Haus zu finden ist.
Wir erfahren zunächst eine Menge über den Baum, der uns mit jedem Wort, jeder Beschreibung mehr ans Herz wächst. Als dann Anne Frank in das Haus einzieht schaut er durch die lumpenverhangenen Fenster und erzählt uns von dem was er dort sieht.
Auch Anne Frank nimmt den Baum wahr, sieht den Baum wachsen, sieht ihn im Wechselspiel der Jahreszeiten mal mit Blättern, mal ohne. Sie nimmt ihn auf ihre Weise und sehr intensiv wahr, was wiederum dem Bau nicht entgeht.
Gleichzeitig berichtet der Baum uns aber auch was um ihn herum, draußen in der Welt geschieht. Von Flugzeugen die über hin fliegen und Soldaten in den Straßen.
Trotz aller Bedrohlichkeit machen jedoch weder die Erzählung noch die Bilder Angst.


Jeff Gottesfeld gelingt es durch seinen besonderen Erzählstil  einen bewusst so  zu lenken, dass unser Fokus  immer  in erster Linie beim Baum und Anne liegt.
Dadurch gerät weder das Kriegsszenario noch Anne Franks Leben in den Hintergrund doch das Ausmaß des Geschehens wirkt einfach nicht ganz so dramatisch und beängstigend, was bei einem Buch für jüngere Kinder durchaus wichtig ist.
Es verharmlost nicht, schmückt aber auch nicht aus da aus einem anderen Blickwinkel erzählt wird. Hierbei ist auch zu sagen, dass die Bilder im Bereich der Kriegsdarstellungen wesentlich intensiver sind als die Erzählung. Ohne Begleitung sollte man jüngere Kinder nicht mit dem Buch alleine lassen. Obwohl......
Immer wieder höre ich bei Lesungen in Grundschulen, dass es doch gar nicht schlimm sei. "Babykram" in den Nachrichten im Fernsehen wären ganz andere Bilder zu sehen. Viel heftiger, viel realistischer, spektakulärer...... .
Hier bin ich doch zuweilen entsetzt über die zunehmende Verrohung der Kinder. Bereits 6-8 Jährige kennen sich mit Waffen und aktuellen Kriegsschauplätzen aus.
Was mit Anne Frank genau geschieht erzählt die Geschichte nicht bis ins Detail und dennoch wird sofort klar wie schlimm es ist.
 Grade noch schaut Anne mit einem Freund aus dem Fenster zum Kastanienbaum

und dann sehen wir bewaffnete Menschen ins Haus gehen. 

Was bleibt sind leere Blätter  und 2 Tagebücher,  die auf dem Boden liegen.  Durch die Erzählung erfahren wir, dass Anne und einige anderen abgeholt wurden. Eine Frau hebt das Tagebuch auf. Das Jahr geht weiter. Wir sehen den Kastanienbaum im Wechsel der Jahreszeiten. Später kommt ihr Vater allein zurück. Es zieht neue Menschen in die Wohnungen. Der Baum lebt weiter, sieht über viele Jahrzehnte Menschen kommen und gehen und sicherlich sind auch einige dabei, die ihn so bewusst wahrgenommen und beobachtet haben wie Anne Frank.
Welche Bedeutung der Baum für Anne Frank hatte können wir durch dieses Buch erahnen doch wie intensiv es wirklich war erleben wir erst bei der Lektüre ihres Tagebuchs, das später veröffentlicht, auch heute noch ein wichtiges Buch ist um ein Bild davon zu bekommen, was es bedeutete als Jude in dieser Zeit zu leben.
Es ist trauriger Weise extrem aktuell, denn immer noch und vermehrt gibt es diesen unsäglichen Judenhass. Als wenn die Vergangenheit noch nicht schlimm genug wäre gibt es auch heute noch Menschen, die diese Ideologie vertreten.
Um so wichtiger ist es, das schon kleine Kinder für diese Thematik sensibilisiert werden. 
Kein Mensch sollte wegen seiner Religion verfolgt werden auch wenn es, vor immer noch täglich auf dieser Erde geschieht.

Den Kastanienbaum gibt es nicht mehr. Er überlebte noch viele Menschen und sah viel im Laufe der Jahrzehnte. Auch das erzählt diese Geschichte. Mit der Zeit wurde er krank, so wie das häufig bei Älteren ist. Die Menschen um ihn herum kannten seine besondere Geschichte, denn mittlerweile waren Anne Franks Tagebücher überall in der Welt bekannt. Vielleicht grade deshalb versuchte man alles um den Baum zu retten, doch es gelang nicht. Alles Leben ist endlich, auch das eines Baumes. So wie wir Menschen in unseren Kindern weiterleben lebt der Baum in seinen "Kindern" weiter. Aus den Samen des Kastanienbaumes wurden Setzlinge gezogen, die überall in der Welt gepflanzt wurden und so heute an Anne Frank und ihren Kastanienbaum erinnern.
*
Gerade dieser positive Ausklang, wenn auch nur im Anhang , lässt dieses Buch zu etwas Besonderem werden.
Bei allem Schlimmen in der Welt gibt es aber auch viel Positives.
Die Erinnerungen an Schlimmes muss bestehen um zu mahnen, um uns bewusst zu machen wie zerbrechlich alles ist, damit es sich nicht irgendwann wiederholt.
Besonders wichtig dabei der Umgang mit unseren Mitmenschen. Toleranz und Miteinander wichtige Worte, die die Welt bunt macht und in der Vorurteile gegenüber Anderssein keinen Platz haben. Das betrifft die religiöses Leben genauso wie alles andere.
*
Das Buch besteht im Grunde aus drei Teilen. Zum einen der Geschichte des Baumes der von 2 Jahren im Leben der Anne Frank erzählt zum anderen von dem Leben des Baumes nach Anne Frank bis ins Jahr 2010, als ein Blitzschlag den bereits kranken Baum in zwei Teile spaltete und dann noch einmal ein Kurzportrait über Anne Frank und der Geschichte ihre Tagebuchs.
*
Was ich etwas schade finde ist, dass in die Geschichte keine Auszüge aus Annes Tagebucheinträgen in Bezug zu dem Baum eingebunden sind. Vielleicht liegt es an den Urheberrechten. Ich weiß es nicht.
Dabei wird gerade aus ihren Schilderungen so deutlich, was der Baum ihr bedeutete bzw. der Baum für eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte.
Gleichzeitig erfahren wir aber auch etwas über das Wetter, das in all den Kriegsschilderungen anderer Literatur selten so bewusst zu erleben lässt.
Hierbei denke ich z.B. an Eintragungen aus dem Jahr 1944 wie die
vom 18. April 1944
wo es heißt:
"Der April ist tatsächlich wunderbar, nicht zu warm und nicht zu kalt und ab und zu ein kleiner Regenschauer. Unsere Kastanie ist schon ziemlich grün, und hier und da sieht man sogar schon kleine Kerzen!"......

Wie schnell die Natur sich weiter entwickelt erkennt man 4 Wochen später. Hier schreibt sie z.B.
am 13. Mai 1944
"Unser Kastanienbaum steht von oben bis unten in voller Blüte und ist viel schöner als im vergangenen Jahr."
*
Das Bilderbuch kann auch wunderbar als Einstieg in die Geschichte Anne Franks und des Nationalsozialismus dienen.
Beginnend mit dem Bilderbuch könnte man nachfolgend das Tagebuch der Anne Frank lesen. Wobei man mit jüngeren Kindern auch nur Passagen herausnehmen könnte, die in Verbindung mit dem Baum stehen. Dies Bedarf etwas Vorarbeit ist aber äußerst spannend und so schon für Grundschulkinder ab der 2. Klasse zu nutzen.
*
Ich kann aber auch allen Eltern nur empfehlen mit ihren Kindern über diese Zeit zu sprechen. Dieses Buch zu lesen und im Weiteren über Anne Frank und das Leben zu der Zeit zu sprechen.
*
Besonders Großeltern und vielleicht Ur-Großeltern können mit diesem Buch sicherlich viel ihren Enkeln erzählen. Ausgehend von der Bilderbuchgeschichte können sie sicherlich viel eigene Geschichten erzählen.
*
Nur durch Erzählungen und Weitertragen bleibt Geschichte lebendig.
Dieses wunderbare Buch trägt mit dazu bei!